Interview mit Christopher Kaufmann, Geschäftsführer Gesundes Landleben GmbH

zur Rolle von Vernetzungs- und Informationsangeboten für einen leichteren Zugang zur Gesundheitsversorgung in ländlichen Regionen

Gesundheitskioske sind soziale Verbindungs- und Informationsstellen.

Christopher Kaufmann,
Geschäftsführer Gesundes Landleben GmbH, zur Rolle von Vernetzungs- und Informationsangeboten für einen leichteren Zugang zur Gesundheitsversorgung in ländlichen Regionen

Der erste Gesundheitskiosk in Thüringen hat im Jahr 2022 in der Gemeinde Urleben eröffnet. Der zweite folgte in Kirch- heiligen. Insgesamt sind vier Gesundheitskioske in den ländlichen Regionen Thüringens geplant. Welche konkrete regionale Versorgungslücke schließt der Verein „Landengel“ mit den Gesundheitskiosken?


Mit unserem Projekt „Landengel“ und den Gesundheitskiosken schließen wir regionale Versorgungslücken im ländlichen Raum Thüringens, wo es aufgrund der Zentralisierung des Angebotes von Gesundheitsdienstleistungen in Städten wie Mühlhausen oder Erfurt insbesondere für ältere Menschen nahezu keine Zugänge mehr gibt. Beispielsweise sind kaum mehr Fachärzte in den ländlichen Regionen vor Ort und die Menschen müssen bis zu 1 Stunde Anfahrtszeit in Kauf nehmen. Wir übernehmen die Koordinierung und Abstimmung mit 40 Ärzten in der Region und die Terminvergabe mit Fahrdiensten zu weiter entfernt ansässigen Praxen oder Kliniken. So bieten wir tele- medizinische Videosprechzeiten zur Gesundheitsvorsorge mit der Uniklinik Jena an und bündeln Patientenfahrten zur weiteren diagnostischen Abklärung für Personen ohne eigenes Auto. Bis zu 40 Patienten pro Tag transportieren die Fahrdienste und legen dabei gut 800 Kilometer Strecke zurück. Insgesamt geht es aber um wesentlich mehr als die ärztliche Versorgung allein. Die Gesundheitskioske stellen die Schnittstellen dar, die den Menschen im ländlichen Raum überhaupt erst einen Zugang zur Gesundheitsversorgung ermöglichen und somit einen Anfang zur sektorenübergreifenden Versorgung bieten. Die Versorgung in ländlichen Regionen ist sehr komplex, da hier viele Aspekte des Lebens zusammenkommen. Oft haben die Menschen nicht nur ein Gesundheitsproblem, sondern auch ein Mobilitätsproblem, Pflegeproblem, Wohnungsproblem und mit noch weiteren Hürden wie finanziellen Schwierigkeiten oder sozialer Einsamkeit zu kämpfen. Der Begriff „Kiosk“ greift vor dem Hintergrund dieser umfassenden Funktion als „regionaler Kümmerer“ eigentlich zu kurz. Mit dem Betrieb der Gesundheitskioske als zentrale Anlauf-, Mittler- und Informationsstellen geht es uns um soziale Verbindungen, Information der regionalen Bevölkerung, die Identifikation von individuellen Versorgungsbedarfen sowie das Schaffen und Koordinieren des Zugangs zu Versorgungsangeboten. Diese Aufgaben über- nehmen die Fachkräfte im Kiosk. Damit ermöglichen sie eine schnellere, bedarfsgerechte Versorgung der Patienten vor Ort.

Die Stiftung Landleben

... mit dem angeschlossenen Verein „Landengel“ und der im Jahr 2022 neu gegründeten Gesundes Landleben GmbH sorgt seit 2017 für die Vernetzung der medizinischen, therapeutischen, pflegerischen und sozialen Leistungen im Unstrut-Hainich-Kreis in Thüringen. Mit der Einrichtung und Betreuung von Gesundheitskiosken in kleineren Orten schafft sie niedrigschwellige Zugänge und pragmatische Lösungen für die regionale Gesundheitsversorgung und übernimmt gleichzeitig eine wichtige Rolle der Daseinssicherung und Daseinsvorsorge im ländlichen Raum.

Wenn Sie auf den Weg von der Idee bis zur Eröffnung der Gesundheitskioske zurückblicken – mit welchen Schritten und eventuellen Schwierigkeiten sahen Sie sich dabei konfrontiert?


Die Idee für den ersten Gesundheitskiosk entstand in offenen Dorfgesprächen mit den Bewohnern der gesamten Region. Den Bau des Kiosks konnten wir über den Verein „Landengel“ und zu drei Viertel durch Mittel des Thüringer Landesamtes für Landwirtschaft und Ländlichen Raum finanzieren. Die Finanzierung erfolgt damit nicht über die Krankenkassen, sondern überwiegend aus Landesmitteln, was zwar prinzipiell positiv ist, aber eben auch zusätzliche finanzielle Herausforderungen mit sich bringt. Wir arbeiten eng mit den Kommunen zusammen, die oft auch als finanzieller Unterstützer oder personell tätig wurden. Der Bau dauerte insgesamt zwei Jahre und stellte während der Coronapandemie eine besondere und unerwartete Herausforderung dar. Wir haben in Zusammenarbeit mit der Gemeinde einen Pachtvertrag mit dem Verein „Landengel“ geschlossen, um die alte Bushaltestelle abzureißen und als Gesundheitskiosk mit integrierter Bushaltestelle neu aufzubauen. So haben wir eine neue regionale Infrastruktur und den zentralen Zugang zum Kiosk schaffen können. Außerdem haben wir für eine Glasfaseranbindung und WLAN im Kiosk gesorgt. Es gibt weiterhin in vielen Regionen noch Probleme mit der Digitalisierung – Dörfer als „Tal der Ahnungslosen“ ohne Mobilfunkempfang oder Internetanbindung. Mit den Gesundheitskiosken wollen wir den Menschen auf einfache Weise zeigen, was Digitalisierung bedeutet. An den Kiosken sind Bildschirme („Landplausch“) für das Anzeigen von Fahrplänen und Dorfnachrichten angebracht. Darüber hinaus sollen telemedizinische Sprechstunden angeboten werden. Das gibt es bisher noch in keinem Gesundheitskiosk in Deutschland. Mit Videosprechstunden kann der Fahrtaufwand für Patienten und Fahrer reduziert werden, was letztlich auch der Umwelt zugutekommt und Ärzte entlastet. Doch das Ganze hat keinen Nutzen, wenn man nicht von Anfang an und kontinuierlich die Menschen vor Ort mitnehmen und sensibilisieren kann. Dazu ist es wichtig, die Bedürfnisse der Bevölkerung in der Region zu kennen, sie bei Planung und Umsetzung des Projektes zu Wort kommen zu lassen und ihre Wünsche bei der Weiterentwicklung zu berücksichtigen. Aus diesem Grund betreiben wir seit jeher intensive Kommunikationsarbeit. Die Notwendigkeit und Wirkung von ehrenamtlichen Unterstützern in der regionalen Versorgung ist essenziell und sollte nicht vernachlässigt werden. Nur mit einer aktiven Beteiligung der Menschen vor Ort können ein Projekt wie der „Landengel“ und Gesundheitskioske gelingen.

Gesundheitskiosk
Der Begriff „Gesundheitskiosk“ ist nicht fest definiert. In Thüringen gleicht er einer „Praxis ohne Arzt“, einer soziokulturell-medizinischen Begegnungsstätte für die Dorfbewohnerinnen und Bewohner mit telemedizinischer Anbindung, die unter pflegerischer Leitung steht. Völlig anders ist die Situation in Hamburg oder im Ruhrgebiet, wo es ebenfalls Gesundheitskioske gibt. Dort sind sie zumeist in Stadtbezirken zu finden, die als soziale Brennpunkte gelten. Die Beratung findet mehrsprachig statt, hilft den Menschen bei der Orientierung durch den Dschungel des Gesundheits- und Sozialwesens und vermittelt in verschiedene Präventionsangebote. Gemeinsam ist den Kiosken, dass sie einen niedrigschwelligen Ansatz haben, also prinzipiell für jede und jeden offen sind, und dass in ihnen sektorenübergreifend sowohl zum Gesundheits- als auch zum Pflege-, Sozial- oder Rentensystem beraten wird.

Mit einem Blick in die Zukunft: Welche Wünsche haben Sie an die politische Unterstützung von regionalen Versorgungsinitiativen?

 

Die politische Unterstützung regionaler Versorgungsinitiativen muss dringend angepasst und ineffiziente Überregulierung im Gesundheitswesen abgebaut werden. Und das strikte Denken und Handeln der Professionen in den Sektoren der Sozialgesetzbücher muss aufgebrochen werden. Eine wichtige Rolle kann dabei der Gesundheitskiosk als regionaler Kümmerer der Daseinsversorgung und -sicherung sein. Hierzu müssen die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden. Der Ausbau der ambulanten Versorgung ist zwingend vonnöten und sollte öffentlich mitfinanziert werden. Auch telemedizinische Maßnahmen können unterstützen. Ein weiterer Wunsch ist die Gründung eines kommunalen MVZ zur Versorgungssicherung. In unserer Region gibt es hierfür bereits interessierte Ärzte. Auch sozialer und altersgerechter Wohnungsbau sowie die Verwaltung von altersgerechten Wohnungen sollten regional organisiert und angeboten werden. Alle diese Maßnahmen erfordern politische Unterstützung und Anpassungen im Gesundheitssystem.