Zukunftssichere Gestaltung der Gesundheitsversorgung
Fachpolitikerinnen, Ländrate und Bürgermeister stehen vor der großen Herausforderung, die Gesundheitsversorgung in ihrer Region zukunftssicher zu gestalten. Die Anforderungen der Bevölkerung wachsen – einerseits durch steigende Morbiditätslasten, andererseits durch den berechtigten Anspruch auf eine hochwertige Versorgung. Gleichzeitig befinden sich die Strukturen im Wandel, finanzielle Mittel sind begrenzt, und der Personalmangel spitzt die Situation zusätzlich zu.
Trotz dieser Rahmenbedingungen gilt es, Wege zu finden, um auch in schwierigen Zeiten eine verlässliche Versorgung sicherzustellen. Dabei ist das Engagement der Akteure mit entscheidend: Mit Weitsicht und kreativen Lösungsansätzen können neue Impulse gesetzt werden, um den Wandel nicht nur zu bewältigen, sondern aktiv zu gestalten.
Knappe Ressourcen besser nutzen
Durch den Fachkräftemangel wird es mittel- und langfristig weniger Gesundheits- und Pflegefachpersonen geben, während gleichzeitig der Betreuungsbedarf durch die Alterung der Bevölkerung steigt. Es kommt also darauf an, die vorhandenen knappen medizinischen und pflegerischen Ressourcen so gut wie möglich zu koordinieren, damit die wenigen Fachkräfte möglichst effektiv eingesetzt werden. Gleichzeitig können Prävention und Maßnahmen zur Gesundheiterhaltung dazu beitragen, körperliche, geistige und psychische Fähigkeiten bei den Menschen besser zu erhalten. Das Ziel ist es, dass die Krankheitslast in der Bevölkerung sinkt und Pflegebedürftigkeit verhindert oder zumindest zeitlich verzögert wird. In unserer Studie sprechen wir in diesem Zusammenhang vom doppelten Ressourcenansatz, da es zweimal darum geht, Potentiale zu erschließen.
Vier Säulen für mehr Stabilität
Gesundheit entsteht nicht allein im Gesundheitswesen – sie ist das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels verschiedener Lebensbereiche. Bildung und soziale Teilhabe spielen eine entscheidende Rolle, ebenso wie das Gefühl, gebraucht zu werden und aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Ob Kinder, junge oder ältere Erwachsene oder im Rentenalter: Nicht nur medizinische Fachexperten sondern alle Bevölkerungsgruppen können ihre Erfahrungen und Fähigkeiten gewinnbringend einbringen – sei es durch ehrenamtliches Engagement, Selbsthilfegruppen oder Nachbarschaftshilfe. Dieser Austausch stärkt nicht nur das eigene Wohlbefinden, sondern fördert auch den Zusammenhalt zwischen Generationen. Empathie und der Blick auf das Miteinander sind dabei entscheidende Pfeiler für eine Gesellschaft, die Gesundheit als gemeinschaftliche Aufgabe versteht.
Vier Hauptfeiler sind es, die für eine stabile und nachhaltige Gesundheitsversorgung der Zukunft erforderlich sind:
1. Vernetzte medizinische Grundversorgung unter Nutzung von Delegation und Telemedizin
Kooperation, Arbeitsteilung und Digitalisierung sind die Schlüssel, um die weniger werdenden Ärztinnen und Ärzte zu entlasten und entsprechend ihrer Spezialisierung einzusetzen. Dies wird mit erweiterten Kompetenzen für die nicht-ärztlichen Berufe einhergehen müssen, welche Dinge erledigen, die nicht zwingend durch einen Arzt erfolgen müssen (Delegation und Substitution). Umgekehrt führt dies zu neuen Möglichkeiten der Qualifikation und Fachweiterbildung, verbunden mit einer Aufwertung der Berufsbilder der medizinischen Assistenzberufe. Der Einsatz von Telemedizin, etwa durch die Zuschaltung fachärztlicher Expertise aus der Kreis- oder Großstadt, kann auch in ländlichen Strukturen eine wohnortnahe Versorgung sicherstellen.
2. Systemische Einbeziehung der Pflege und der Altenpflege
Mit Blick auf internationale Standards und auf strukturschwache Regionen, die mit Ressourcenmangel konfrontiert sind deutet sich empirisch bereits heute eine neue Schlüsselfunktion der Pflegeberufe an. Sie übernehmen nicht nur – wie das Praxisbeispiel UGHO zeigt – Verantwortung für die notwendige Pflege, sondern wachsen als verlängerter Arm des Arztes zunehmend in eine autonome Versorgungsrolle hinein, die im klassischen Sektorenschema nicht abgebildet ist. Der regelmäßige Kontakt von Pflegekräften mit Pflegebedürftigen sowie den Menschen in ihrer häuslichen Umgebung ist dabei eine ungemein wertvolle Ressource für die Früherkennung von Handlungs- und Präventionsbedarfen im Umfeld des Pflegebedürftigen.
3. Verhaltens- und Verhältnisprävention
Die Angebote der Verhaltens- und Verhältnisprävention sind als Teil einer integrierten Versorgungsstrategie systematisch einzubeziehen, um Versorgungslasten in der Zukunft zu reduzieren. Hier kann gezielt auf im SGB V und SGB XI verankerte und durch die Kranken- und Pflegeversicherungen finanzierte Strukturen zurückgegriffen werden. Beispiele sind die aufsuchende Pflegeberatung, die im häuslichen Umfeld Aufgaben des Versorgungsmanagements übernimmt und Betroffene zur präventiven Wohnraum- und Alltagsgestaltung berät, die Schulung pflegender Angehöriger bzw. Zugehöriger, die auch in Zukunft die Schlüsselressource in der pflegerischen Versorgung sein werden sowie Programme der Verhaltens- und Verhältnisprävention gerade mit Blick auf das Alter. Die Förderung der Gesundheitskompetenz (Health Literacy) ist ein weiteres Element.
So können regionale Netzwerkakteure und insbesondere Kommunen heute bereits auf Angebote zurückgreifen, die sich gezielt an eine ältere Bevölkerung richten, z.B.:
- Impulsgeber Bewegungsförderung | https://www.aelter-werden-in-balance.de/impulsgeber/
- Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit | https://www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/gesundheitsfoerderung-bei-aelteren/
- „Im Alter in Form!“ – Eine Initiative der BAGSO & In FORM (Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung) | https://im-alter-inform.de/
4. Einbindung zivilgesellschaftlicher Ressourcen
Versorgungsnetzwerke sollten über professionelle Akteure hinausgehen und um regionale zivilgesellschaftliche und um soziale Ressourcen ergänzt werden. Dazu gehören etwa Gruppenangebote der Kommune, der Kirche oder des Sportvereins, Selbsthilfegruppen und Patientenberatungsstellen, lokale Allianzen, die es beispielsweise für Menschen mit Demenz bereits gibt sowie kommunal organisierte Nachbarschaftshilfen. Auch wenn es an solchen Angeboten in strukturschwachen Regionen ebenfalls mangelt, sollten entsprechende Ressourcen für das Netzwerk mitgedacht und erschlossen werden.

Dr. Timm Genett, Leiter des Geschäftsbereiches Politik (PKV-Verband)
Der Gesetzgeber hat eine riesige Verantwortung. Ohne richtige Rahmenbedingungen mit regionalen Freiheitsgraden werden Versorgungsarrangements, die alle zur Verfügung stehenden Ressourcen einbeziehen, nicht zustande kommen. Es braucht die richtigen Leitplanken aus der Gesundheitspolitik, die den Umbau und die Freisetzung vorhandener Potentiale auf lokaler Ebene ermöglicht und dabei den Akteuren genügend Freiräume lässt.
Dr. Timm Genett,
Geschäftsführer Politik beim Verband der privaten Krankenversicherung e.V.
Was unterscheidet die "alten" von den "neuen" Gesundheitsnetzen?
Gesundheitsnetze gibt es in Deutschland seit 30 Jahren. Sie gehen auf das GKV-Neuordnungsgesetz 1997 und darauffolgende Gesundheitsreformen zurück. Das waren die politischen Weichen für eine integrierte Versorgung, mit der eine enge Kooperation von ganz unterschiedlichen Leistungserbringen möglich wurde. Das Ziel: Eine besser abgestimmte Gesundheitsversorgung für die Patientinnen und Patienten zu schaffen.
Ging es anfangs um eine bessere Ressourceneffizienz bei guter Versorgungslage sind wir heute zunehmend mit Versorgungslücken konfrontiert: Eine älterwerdende Bevölkerung hat einen höheren Behandlungs- und Pflegebedarf, der zugleich von weniger Ärztinnen und Pflegekräftefachpersonen gedeckt werden muss. Zudem erleben wir im ländlichen Raum einen strukturellen Wandel, der mit einer Abwanderung in städtische Regionen einhergeht. Diese Lücken können durch Vernetzung allein nicht geschlossen werden.
Im Studientitel sprechen wir daher von „neuen“ Gesundheitsnetzen, damit gar nicht erst die Illusion einer Versorgungsoptimierung entsteht, die im Vordergrund bei den „alten“ stand. Es geht also nicht um eine bessere Ressourcennutzung in den Kontexten der Überversorgung sondern um einen effizienten Einsatz der knappen, noch verfügbaren Ressourcen - Personal, Geld und Zeit - erweitert um neue Säulen der Prävention, der Pflege und des Ehrenamts. Das ist die Herausforderung der neuen Gesundheitsnetze.
Neue Gesundheitsnetze für den ländlichen Raum
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