Für eine bessere Koordination im Gesundheitswesen
Im Gesundheitswesen wird heute noch zu oft nebeneinander statt miteinander gearbeitet. Mangelnde Abstimmung führt nicht nur zu Doppeluntersuchungen und unnötigem Aufwand, sondern belastet auch Personal und Ressourcen, die ohnehin knapp sind. Dabei könnten eine bessere Koordination und mehr Zusammenarbeit helfen, wertvolle Zeit zu sparen, Kosten zu senken und die Qualität der Versorgung zu steigern.
Alle würden profitieren
Dies gilt besonders in Zeiten des Umbruchs, wie wir sie gerade erleben: Wenn wir unsere Kräfte bündeln und miteinander statt gegeneinander arbeiten, profitieren alle – vor allem die Patientinnen und Patienten. Vertrauen und ein offener Austausch sind die Schlüssel, um Effizienz und Menschlichkeit miteinander zu verbinden.
Studie zu neuen Gesundheitsnetzen liefert wichtige Erkenntnisse
Wie das genau geht? Die Lessons Learned lassen sich aus den Praxisbeispielen unserer Studie ableiten. Sie zeigen, wie sich im Miteinander der verschiedenen Akteure regionale Gesundheitslösungen aufbauen lassen und tragen so dazu bei, Versorgungslücken zu schließen.
Lessons Learned
Einbindung nicht-ärztlicher Ressourcen
Wenn im Sinne eines arbeitsteiligen Vorgehens medizinische Assistenzkräfte eingesetzt werden, entlastet dies Ärztinnen und Ärzte. Die positive Folge: Die knappe Ressource Arztzeit wird besser verwendet und es bleibt mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten. Ein Beispiel ist die Delegation an nicht-ärztliche Praxisassistenten (NäPas). Diese können Ärzte bei Hausbesuchen unterstützen, einfache Untersuchungen und Behandlungen durchzuführen sowie Verordnungen nach ärztlicher Rücksprache anpassen. Anwendungsbeispiele bieten UGHO und Büsum.
Digitale Infrastruktur und Telemedizin
Wenn digitale Gesundheitslösungen wie Televisiten in den regionalen Versorgungskontext integriert und digital gestützte, gemeinsam abgestimmte Prozesse aufgebaut werden, kann die Zusammenarbeit und die Koordination zwischen regionalen Akteuren enorm verbessert werden. Effizienz und Qualität der medizinischen Versorgung steigen in der Regel ebenso. Beispiele sind gemeinsam für das Gesundheitsnetz abgestimmte Behandlungspfade, digitale Plattformen zum Informations- und Datenaustausch zwischen Leistungserbringern, die Integration und Steuerung von Delegationsaufgaben oder telemedizinische Lösungen bei der Vor-Ort-Betreuung. Anwendungsbeispiele bieten Haffnet und PANOS.
Zusammenarbeit auf Basis von Behandlungspfaden
Damit Patientinnen und Patienten mit komplexen Erkrankungen gut und effektiv versorgt werden können, braucht es die optimierte Zusammenarbeit aller Beteiligter über Fachdisziplinen und Berufsgruppen hinweg. Standardisierte Netzwerkprozesse (z. B. gemeinsame Behandlungspfade) und Absprachen zur Überleitung von Patienten finden in sechs von sieben der untersuchten Netzwerke statt. Dabei geht es um die leitliniengerechte Behandlung von Schwerpunkterkrankungen wie Diabetes mellitus oder koronarer Herzerkrankung. Das ist gut für die Patientinnen und Patienten. Darüber hinaus wirkt sich die Zusammenarbeit auch positiv auf das Gruppengefühl im Gesundheitsnetz und eine gemeinsame Identität aus. Qualitätszirkel, Netzwerktreffen und Weiterbildungsangebote sind vorteilhaft für alle Netzwerkbeteiligten. Anwendungsbeispiele bieten Kinzigtal und Prosper.
Professionalisierung der Gesundheitsnetze
Eine Netzwerk-Managementgesellschaft organisiert und koordiniert die Netzarbeit. Daneben kümmert sie sich um vertragliche Angelegenheiten mit z.B. Krankenkassen bei Präventionsprogrammen, Disease Management, um Weiterbildungsmaßnahmen oder um die Akquise von Drittmitteln. Hierdurch entlastet sie die Mitglieder des Gesundheitsnetzes von Bürokratie und schafft ihnen Freiraum für ihre ärztliche Kernaufgaben. Häufig wird die Zentrale aus dem Netzverbund heraus gegründet und besetzt. Wenn ärztliches und kaufmännisch geschultes Personal eingesetzt wird, erhöht dies die Akzeptanz im Gesundheitsnetz und trägt zur besseren Umsetzung der Netzwerkziele bei. Anwendungsbeispiele bieten UGHO und Haffnet.
Direkte Beteiligung von Patientinnen und Patienten
Wenn Patientinnen und Patienten bei ihrer ärztlichen und pflegerischen Versorgung eine aktive Rolle einnehmen, hat dies einen großen Einfluss auf den Behandlungserfolg und die Patientenzufriedenheit. Beispiele zur Patientenbeteiligung sind Schulungsangebote, Bonuszahlungen, regelmäßige Befragungen, die Einbindung von Fallmanagern oder von ehrenamtlichen Patientenvertretern. Anwendungsbeispiele bieten Büsum, Prosper oder Kinzigtal.
Welche Faktoren machen Gesundheitsnetze erfolgreich?
- Engagierte und aktive Akteure, die über lange Zeit aktiv sind: In den Personen der Netzwerkgründerinnen und -gründer liegt der wesentliche Faktor für den Erfolg eines Gesundheitsnetzes: Sie brauchen einen langen Atem, haben große Überzeugungskraft und motivieren dadurch andere Gesundheitsberufe zur Mitarbeit. Ohne ihr Engagement kommen Netzwerke nicht voran.
- Spürbare Vorteile: Netzwerkarbeit muss für die Mitglieder erkennbare Vorteile liefern: Mehr Freizeit, effizientere Abläufe, reduzierte Dokumentation, mehr Geld. Das gilt sowohl für den individuellen als auch den gemeinsamen Nutzen der Netzwerktätigkeiten.
- Evidenz: Um eine bedarfsgerechte und passgenaue Patientenversorgung im Gesundheitsnetz zu gestalten, braucht es eine genaue Kenntnis bisheriger Versorgungsmängel und daraus abgeleiteter Behandlungsbedarfe. Netzwerke, die sich evaluieren lassen und die sich kontinuierlich verbessern haben die Nase vorn.
- Starke Partner: Hürden werden reduziert, wenn es auch außerhalb des Netzwerks Förderer und Unterstützer gibt. Kassenärztliche Vereinigungen oder Berufsverbände können helfen, administrative und bürokratische Prozesse zu verschlanken.
- Infrastruktur und Zusammenarbeit: Optimal auf Zusammenarbeit ausgerichtete räumliche (z.B. gemeinsame Anmeldung) oder technische Infrastruktur (z.B. einheitliches Praxisverwaltungssystem) unterstützen die medienbruchlose Netzwerkarbeit und Kommunikation.
Welche Faktoren behindern Gesundheitsnetze?
- Fehlende Gründungskapazitäten: Wo bereits struktureller Mangel herrscht, haben Gesundheitsberufe keine zeitlichen Ressourcen sich für den Aufbau eines Netzes zu engagieren.
- Starke Personenabhängigkeit: Erfolgreiche Gesundheitsnetze beruhen oft auf einem hohen, intrinsisch motivierten Einsatz weniger Akteure. Ziehen sich diese zurück oder gehen sie in den Ruhestand, kann dies das Ende des Gesundheitsnetzes bedeuten, wenn zuvor kein Ersatz gefunden oder entsprechende Managementstrukuren eingerichtet wurden.
- Fehlende technische Vernetzung: Nicht funktionierende Schnittstellen bei der Nutzung verschiedener Praxisverwaltungssoftware-Systeme oder Probleme mit der Telematik-Infrastruktur und deren Anwendungen verhindern bzw. verkomplizieren den Austausch zwischen den Leistungserbringern.
- Erreichbarkeit der Patientinnen und Patienten: Die Initiierung der Gesundheitsnetze erfolgt häufig von in der Region stark vertretenen Krankenkassen mit entsprechend hoher Versichertendichte. Der Zugang von Versicherten kleinerer Kassen, die keine Verträge mit dem Netzwerk haben, ist dagegen eingeschränkt.
- Finanzielle Unsicherheit: In Zeiten knapper Kassen wird die Finanzierung schwerer, da nur wenige Projekte langfristig gesichert sind. Es fehlt an Fördermitteln für bestehende Ansätze. Eine Überführung in die Regelversorgung erweist sich als schwierig und sehr ressourcenaufwändig.